Sportfans auf aller Welt haben es oft nicht einfach: Die vergötterte Mannschaft spielt schlechter als letzte Saison, sogar der Abstieg droht, Punkte werden wegen wirtschaftlichen Verfehlungen der Verantwortlichen abgezogen, Spielerein- und Verkäufe bringen nicht den erwünschten Erfolg. Es gibt wenig, dass die „Supporter“ nicht schon mitgemacht haben, sogar in den allerbesten Saisonen.
Aber trotz all dieser Misslichkeiten halten die Fans die Begeisterung für den Sport und vor allem für den eigenen Verein oder Sportler stets hoch, und wenden Jahr für Jahr immer mehr finanzielle Mittel auf, um sich die allerneuesten Merchandising-Artikel in den Fanshops (auch online) zu kaufen. Aber nicht nur mit Geldern, sondern vor allem auch sozial und emotional werden die Teams von den eigenen Anhängern unterstützt. Denn die Bewunderer der einzelnen Vereine oder Sportler gehen nicht nur zu den Spielen, weil sie den Nervenkitzel spüren wollen, sondern weil sie die positiven als auch die negativen Gefühle und Empfindungen (zum Teil unterbewusst) mit anderen Gleichgesinnten teilen wollen. Aber sind die einzelnen Fans und Fangruppen wirklich harmlos oder lauert unter dem Gruppenbewusstsein nicht auch dunkle Energie? In diesem Artikel werden wir aufzeigen, was die Psychologie dazu zu sagen hat.
Wie sich die Gefühle und Emotionen der durchtrainierten Athleten bei einem sportlichen Wettkampf bemerkbar machen, wurden schon öfters untersucht und sind ziemlich eindeutig. Deren Stressreaktionen werden durch die Produktion des Hormons Cortisol ausgelöst, das einen schnelleren Puls und eine schnellere Atemfrequenz verursacht, und dem Menschen generell hilft, sich auf Strapazen, anstehende Aufgaben und Verpflichtungen vorzubereiten. Dieser physische Zustand kann in verschiedenen Stadien während eines Sportevents bei den Akteuren festgestellt werden.
Ein Sieg, ein Spiel im eigenen Stadion und sogar der Erfolg eines Mannschaftskollegen werden mit einem Anstieg des Testosteronspiegels bei männlichen Athleten in Verbindung gebracht. Untersuchungen zeigten in diesem Zusammenhang, dass sich männliche Tennisspieler, die vor einem Spiel höhere Testosteronwerte hatten, dem Wettbewerb und der Auseinandersetzung mit den Kontrahenten positiver gegenüber eingestellt waren.
Der Sieg in einem sportlichen Ringen kann den Testosteronspiegel erhöhen und die Freisetzung von Dopamin steigern, jener Chemikalie, die bei uns Menschen für das Vergnügen und für die Glücksgefühle zuständig ist.
Neuste Untersuchungen haben klar gezeigt, dass die physiologischen Reaktionen der Fans in vielen Fällen identisch mit jener der Athleten sind, die sie vom Spielfeldrand unterstützen. Sowohl männliche als auch weibliche spanische Fußballfans hatten beispielsweise während der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2010 beim Ansehen eines Spiels ihres Teams einen weit höheren Testosteron- und Cortisolspiegel, obwohl dies in keinem Zusammenhang mit den Siegen ihrer Mannschaften stand.
Auch während der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wurde, ebenfalls bei einer weiteren Studie, auf diese Werte bei den Anhängern des veranstaltenden Landes geschaut. So hatten jene Brasilianerinnen und Brasilianer, die sich stark mit ihrem Team identifizierten, einen höheren Cortisolspiegel als diejenigen, denen das Spiel mit dem runden Leder gleichgültig ist. Dies bedeutete, dass die Fans des fünffachen Fußball-Weltmeisters gestresster waren als alle anderen Einwohner Brasiliens, und vor allem dann, wenn sie durch die Ergebnisse und Leistungen ihres Teams unglücklich oder frustriert waren.
Befinden wir uns im Stress, so schüttet unser Körper Cortisol aus, ein für unser Immunsystem beeinträchtigender Vorgang. Daher sollten besonders die „Hard-Core-Fans“, die oft aufbrausend, wütend oder erregt sein können, sich darüber im Klaren sein, dass zu viel Cortisol über einen längeren Zeitraum gesundheitsschädlich sein kann. Diese Tatsache wird durch die Erkenntnisse deutsche Forscher untermauert, die feststellten, dass während derselben FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2014 mehr Herzinfarkt-Krankenhausaufenthalte bei Männern und Frauen während der Veranstaltung zu verzeichnen waren als in vergleichbaren anderen Zeiten, oder vor bzw. nach der Veranstaltung.
Fans sind in hoher Art und Weise mitentscheidend, wenn es um den sportlichen Erfolg der eigenen Mannschaft geht. Sie sind es, die dem Team einen wirklichen Heimvorteil verschaffen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass alle Trainer, Teamverantwortliche und vor allem die Spieler die Bedeutung des Heimpublikums überaus zu schätzen wissen.
Fans ihrerseits profitieren davon ein Teil der Menge zu sein, denn dort fühlen sie sich sozial verbunden, ein Faktum, dass unser Selbstwertgefühl steigert und daher auch unser allgemeines Wohlbefinden verbessert.
Sportfans können leichter ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen als andere Personengruppen Das gemeinsame Erlebnis, der Nervenkitzel während eines Sportevents und die Triumphe oder Niederlagen danach können leichter gemeinsam mit anderen Fans, Freunden oder der Familie geteilt werden.
Weitere Forschungen belegten, dass ein Sieg den Anhängern eines US-College-Football-Teams einen positiven Schub des Selbstwertgefühls gab, der bis zu zwei Tage nach dem Spiel anhielt. Die Zugehörigkeit zu einer Community, insbesondere für Fans, die auch die Last des Verlierens teilten, kann auch als hilfreiche Schutzmaßnahme für das Selbstwertgefühl jedes einzelnen dienen.
Andere Studien zeigen, dass Fans, deren Vereine weniger erfolgreich waren, treuer zueinanderstehen und mehr Fan-Engagement aufbringen als jene Anhänger von äußerst erfolgreichen Mannschaften. Auch hier bewahrheitet es sich, dass die starken emotionalen und sozialen Bindungen, die rund um diesen Clubs gebildet werden, insbesondere auch ihren Anhängern direkt zugutekommen.
In der Zeit der COVID-Einschränkungen waren auch die Sportfans dazu gezwungen, online zu gehen, da fast alle Sportevents ohne Zuschauer stattfanden. Und dort, im weltweiten Internet, machten sie sich auf andere Weise auf die Suche nach Dopamin-Stimulationen. Diese können wir durch viele Instagram-Likes, endlos angesehene TikTok-Videos, Netflix-Staffeln, Pornos, der Verwendung von Boni ohne Einzahlung, die uns den Adrenalin-Nervenkitzel beim Online-Glücksspiel erleben lassen, und sogar beim Einkaufen nicht benötigter Artikel erfahren. Die Ersatzbefriedigungen im Online-Bereich waren und sind vielfältig.
Besonders beobachtet wurden in England auch die negativen Auswirkungen der Absagen im Fußball, als die Fans nicht mehr an den Spielen der eigenen Mannschaft teilnehmen konnten.
43 % aller körperlich beeinträchtigten Menschen, die regelmäßig zu den Heimspielen ihrer Vereine gingen, gaben an, dass die Absagen dieser Live-Sportevents während der Pandemie bedeutende negative Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit hatten. Und in Summe gaben 62 % dieser Fans in der Umfrage an, dass es sich generell nachteilig auf ihr Wohlbefinden auswirkt, wenn sie keine Live-Sportübertragungen verfolgen können.
In der Dissertation von Dr. Jeffrey James aus dem Jahr 1997 wird der Entscheidungsprozess jener Kinder beschrieben, die sich entscheiden, einem bestimmten Verein zugehörig zu werden. Erst im Kindesalter von etwa 8 oder 9 Jahren wird die Fähigkeit des konkreten operativen Denkens beherrscht, die es ihnen ermöglicht, eine emotionale, langfristige Bindung an einen Sport, eine Mannschaft oder einen Einzelsportler aufbauen.
In der Regel fühlen sich Kinder zuerst einem Sport, dann einer Mannschaft und zuletzt einem einzelnen Spieler oder Spielerin zugetan. Besonderen Einfluss in dieser Zeit haben die sozialisierende Agenten des Kindes, wie beispielsweise seine Familie (Vater, Mutter oder ältere Geschwister), die Medien und dessen eigene sportlichen Vorlieben (spielt das Kind selbst mit Freunden, in der Schule oder im örtlichen Verein).
Deshalb bemühen sich bereits seit geraumer Zeit die unterschiedlichsten Verbände, Ligen und Teams, die größere Fanbasen aufbauen möchten, die digitalen/sozialen Bindung zwischen ihnen, den Kontaktpersonen der Kinder und den 7-, 8- und 9-Jährigen zu intensivieren.
Da die meisten Fans Ihren, erst einmal ausgewählten Vereinen in der Regel ein Leben lang treu und verbunden sind, steckt also ein enormer Zeitwert hinter dieser Bindung. Daher loht es sich für diese Akteure zweifellos, Events, Trainings und Wettbewerbe für die Jüngsten zu organisieren, aber auch in Apps, Webseiten und in soziale Netzwerke zu investieren, die ebenfalls ausdrücklich auf diese Bevölkerungsgruppe ausgerichtet sind.
Professor Daniel Wann, Psychologe an der Murray State University in Kentucky, hat eine Reihe von Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen zur Fanpsychologie durchgeführt. Er hat den sogenannten „Sports Fan Motivation Scale“ entwickelt, der acht Schlüsselfaktoren voneinander unterscheidet, und der angibt, was es benötigt, um ein Sportfan zu werden: Eustress (positiver Stress), Eskapismus, Unterhaltung, Finanzen, Ästhetik, Gruppenzugehörigkeit, Selbstwertgefühl und familiäre Vorgaben sowie das Engagement der Fans und deren Kontaktpersonen.
Diese Eigenschaften und Notwendigkeiten sollen die verschiedenen Ebenen der Fanbeteiligung aufzeigen, aber auch den Entscheidungsträger im Sport dabei helfen, sich auf größere Fanbeteiligung stützen zu können.
Professor Wann entdeckte auch, dass manche Sportfans im Sport und bei dessen Veranstaltungen ein Gefühl der Verbundenheit und Akzeptanz finden, welches sie anderswo in ihrem Leben nicht gefunden haben. Er stellt auch fest, dass die Menschen einen Zufluchtsort benötigen, eine Art Ersatzreligion, da viele konventionelle Institutionen wie beispielsweise Kirche und Familie seit geraumer Zeit zu zerfallen beginnen. Der Sport, so sein Postulat, füllt in dieser Hinsicht ein kritisches Vakuum.
Im Stadion lassen die treuesten Sportfans ihren Alltag, ihre soziale Herkunft und die sozialen Hemmungen fallen, um so „ihre Mannschaft anzufeuern“, und um schlussendlich den Konkurrenten zu besiegen. Das sozialpsychologische Phänomen der Enthemmung tritt ein, das auch für jene Menschen gilt, die Unwahrheiten, Fake-News oder andere Schmähungen in den sozialen Netzwerkseiten veröffentlichen, und dabei Ausdrücke und Begriffe verwenden, die sie persönlich niemals sagen würden).
Anerzogene und festgeschriebene Normen aber auch zum Teil die Selbstkontrolle und das persönliche Selbstbewusstsein werden in jenen Momenten fallen gelassen und veranlassen die Anhänger, sich basierend auf ihre gegenwärtigen Gefühle und Impulse zu verhalten. Dabei werden wenige bis keine Überlegungen angestellt, die normalerweise ein solches Verhalten unterbinden würden.
Wird in den Fan-Modus gewechselt, so verändern sich auch die Fans. Selbst jene Personen, die üblicherweise vorsichtig und schüchtern sind, sind in viele Fällen dem Exhibitionismus sehr nah. Einige der Supporter müssen nicht einmal beim Spiel live dabei sein, um diese Enthemmungswirkungen zu erleben.
Einige Fans sind nach einem ersten Gegentreffer bereits leicht niedergeschlagen und nach einer Niederlage zutiefst betrübt und deprimiert. Es kann auch zu Schwierigkeiten mit der Wutbewältigung kommen und zum Verschließen der eigenen Person gegenüber deren Umwelt.
Die leidenschaftlichsten Unterstützer eines Vereins fühlen sich als fester Bestandteil ihres Teams, daher fühlen sich einige von ihnen weniger verantwortlich für ihre eigenen gesetzten Handlungen.
Fans ist es schlicht und einfach egal, was andere Menschen (Fans) denken oder fühlen, wenn Enthemmung mit Deindividuation, einem Mangel an Selbstbewusstsein und einem Gefühl verteilter Verantwortung einhergeht. Deindividuation reduziert typische Arten der Selbsteinschränkungen, wodurch Fans auch wieder ihrerseits leichter von ihrer Umgebung beeinflusst werden können; Das ist dann genau jener Zeitpunkt, an dem die Fans beginnen, sich wirklich seltsam und a-typisch zu verhalten, entweder auf nette oder unangenehme Weise.
Fans können sich in großen Gruppen zusammenrotten, sich verspotten, randalieren, bedrohen oder sogar körperliche Gewalt ausüben. Fans befinden sich in einem Gefühl der Anonymität, wenn sie sich innerhalb einer homogenen, gleichgesinnten Gruppe wiederfinden. Die individuelle Verantwortlichkeit wird ausgeblendet und auf die Gruppe abgeschoben. Diese Art von Verhalten ist nicht nur auf den Fußballplätzen dieser Welt zu erkennen, sondern kann online genauso leicht gefunden werden. Es kann für das Gute genutzt werden, aber auch genauso gut für schändliche Zwecke missbraucht werden.
Sportveranstaltungen ziehen die unterschiedlichsten Anhänger nicht nur wegen der beteiligten prominenten Sportler und der interessanten Locations an, sondern auch wegen der vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten und des regen sozialen Austauschs. Sportevents werden immer mehr als gesellschaftliche Ereignisse gesehen, bei denen die Nebenaktivitäten und -erlebnisse bei weitem häufiger wichtiger sind als das Spiel selbst.
Einer der wichtigsten Vorteile der sozialen Tätigkeit ist, dass innerhalb einer Fanbewegung das Grundbedürfnis der Menschen angesprochen und befriedigt wird, und zwar ein Mitglied einer Gruppe zu sein. Diese Eigenschaft ist entscheidend für das Entstehen von Fanmeilen, dem gemeinsamen Fahrten zu Auswärtsspielen, Public Viewing, Sportkneipen und – neuerdings – der „Sozialisierung“ des Sportfans.
Als Ergebnis dieser Sozialisierung ist die Fangemeinschaft leichter zu erreichen, mit all ihren Vor- und Nachteilen.
Zu einer Zeit, in der es weniger Auseinandersetzungen und Rivalität gibt, dafür aber gleichzeitig mehr Sportmerchandising, ist es für die Fangemeinden bestimmter Vereine einfacher, breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen. Gegenwärtig ist der globale Trend zu erkennen, dass sich Sportfans auf immer kleinere Bereiche segmentieren. Um die einzelnen „Splittergruppen“ wieder zu vereinen, bedarf es eines verstärktes Engagements, um die Entwicklung von gemeinschaftlichen Beziehungen und verstärktem Gruppenerlebnissen wieder aufleben zu lassen.